Fall 1: Hier sprechen bei einer Investitionsrechnung die Zahlen eine eindeutige Sprache: Der Kapitalwert ist deutlich positiv, die pay-off-Zeit gering. Trotzdem liegt ein intuitives Störgefühl vor. Dies kann sich aus vielen Quellen speisen: Vielleicht fehlt das Vertrauen in den Antragsteller der Investition, für diesen werden persönliche Vorteile durch die Investition vermutet, die Zahlen können als viel zu optimistisch geschätzt gelten. Diese Situation ist Controllern nicht unbekannt, sondern eher häufig, wenn Pläne auf den Tisch kommen. Erfahrene Controller haben ein Gespür dafür, wo sie kritisch hinterfragen und einschreiten müssen. Halten die Zahlen der kritischen Überprüfung stand, bleibt es beim reflexiven Urteil; sonst müssen sie entsprechend korrigiert werden.
Im Fall 2 stimmt das Gefühl des Controllers mit den guten Zahlen überein. Das analytische Ergebnis wird bestätigt. Hier ist allenfalls zu vermeiden, dass man sich zu sicher fühlt.
Der Fall 3 entspricht dem Fall 1, nur mit quasi umgekehrtem Vorzeichen: Hier liegt die Situation vor, dass der Manager an eine Maßnahme – ein neues Produkt, eine neue Technologie – glaubt, er sie aber nicht entsprechend rechnen kann. Hier besteht die Aufgabe des Controllers darin, nach Argumenten zu suchen, die den „6. Sinn“ des Managers unterstützen könnten und in den bisherigen Plänen nicht enthalten waren. Rechnet sich z.B. ein neues Produkt auf einem neuen Markt für sich alleine nicht, könnte es den Türöffner für weitere Produkte spielen. Dies könnte auch bedeuten, das Rechenverfahren zu wechseln (von einer Kapitalwertrechnung zu einem Real-Options-Verfahren). Bei der Überprüfung spielt auch die Einschätzung des Managers eine wichtige Rolle. Gab es vergleichbare Situationen? Versuchte er schon mehrfach, Maßnahmen unter Verweis auf solche „strategischen Prämien“ durchzusetzen? Wie sieht der „Track record“ aus? Wie viel war davon Glück oder Pech? Immer dann, wenn Reflexion und Intuition zu abweichenden Ergebnissen kommen, ist Vorsicht geboten.
Der verbleibende Fall 4 entspricht dem zweiten Fall und ist folglich unproblematisch. Wenn sowohl Reflexion als auch Intuition zu einem ablehnenden Ergebnis kommen, ist die Entscheidung klar – zumindest dann, wenn die Beurteilung nicht vorschnell erfolgt.
Fassen wir kurz zusammen: Analytik bzw. Reflexion sind für Manager wie Controller unverzichtbar. Wer als Manager allein auf Intuition baut, geht ein ganz erhebliches Risiko ein. Umgekehrt können sich Controller nicht auf reine Analytik beschränken; sie können ihre Ergänzungs- und Begrenzungsaufgaben (Entlastungs-, Ergänzungs- und Begrenzungsaufgaben) nicht erfolgreich wahrnehmen, wenn sie nicht ein Gespür dafür haben, Rationalitätsdefizite zu erkennen. Beide Formen der Lösungsfindung sind gemeinsam erforderlich, um zu guten Entscheidungen zu kommen.
Prof. Dr. Utz Schäffer & Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber